2023-24

dancing

schindowski

Musikalische Leitung

Elisabeth

Choreografie

Agathe/Dargelos

Tänzer/Ensemble

Narrator

Choreografische Mitarbeit

Tänzerinnen/Ensemble

Dramaturgie

Paul

Bühne

Gerard

Kostüme

Les enfants terribles...

Großes Haus

Les enfants terribles

2009-10

(...) Eine harmlose Schneeballschlacht in einer kalten Welt. Die pochenden, hämmernden, drängenden Akkorde und Läufe der minimalistischen Partitur für drei Keyboards fangen das nervöse Flair der Episoden zwischen Realität und Fantasie aus dem Leben des inzestuösen Geschwisterpaares Elisabeth und Paul minutiös ein. Die Dialoge der vier Teenager - neben den Geschwistern die Freunde Gérard und Agathe - werden von vier Solisten gesungen und gleichzeitig von vier Tänzern getanzt. Ein Erzähler rezitiert verbindende Ausschnitte aus Cocteaus Originaltext. Glänzend gelingt Schindowki die Verteilung der unterschiedlichen beteiligten Künstler im Theaterraum: Die Keyboarder sitzen, samt Dirigent Bernhard Stengel, direkt vor den Zuschauern im Parkett. Das Gesangsquartett singt von der ersten Rangloge. Den Erzähler (Schauspieler Thomas Weber-Schallauer) lässt Schindowski auf der zweigeteilten Bühne mitten unter den Tänzern wandern und wandeln, ohne dass die Jugendlichen ihn je bemerken - ein schlüssiges Signal, um die völlige Abgeschiedenheit von der Realität zu zeigen, wenn Elisabeth und Paul »das Spiel spielen«.(...) Die sehr junge, gazellen-zarte, langbeinige Alina Köppen wächst in der Rolle der Elisabeth über sich hinaus. Schindowski hat ihr die Rolle virtuos auf den Leib choreografiert, sodass ihre Gliedmaßen aus der Bewegung heraus ihre Gedanken und Gefühle aussprechen. Evgeny Gorbachev ist der zwar sehr maskuline, aber deutlich von seinem fast tödlichen Unfall gezeichnete und mental leidende Paul. Min-Hung Hsiehs Gérard bleibt durch die ständig wiederholten, wenig aussagekräftigen neo-klassischen Posen und Sprünge farblos. Priscilla Fiuza tanzt die lebensfrohe Agathe frisch. Mit dem wunderschönen Bild einer harmlos erscheinenden Schneeballschlacht, bei der Paul allerdings von einer Eiskugel getroffen und schwer verletzt wird, beginnt die Tanzoper. Wie kalt die Welt ist, zeigt ein stetig wachsender Eiszapfen. In der letzten »Draußen«-Szene, als drinnen die Geschwister tot liegen, reicht er bis zum Boden. Ein eindrucksvoller Schluss dieser hochkarätigen Inszenierung eines zeitgenössischen Repertoire-Stücks.

Giessener Allgemeine

Minutenlang liefert sich das Ballett Schindowski eine ausgelassene Schneeballschlacht – wild, aber nicht ungestüm und schon gar nicht aggressiv. Pure Lebenslust spricht aus diesen Bildern einer unbeschwerten Jugend, die man festhalten möchte. Und die soghafte Musik von Glass, mit beispielhafter Präzision von drei Keyboardern gespielt, die vor den Zuschauerrängen mit dem Rücken zur Bühne sitzen, verstärkt in ihrer kraftvollen Dynamik bei gleichzeitiger Leichtigkeit die Atmosphäre des Spielerischen, Fröhlichen. Dann nimmt das Drama seinen Lauf. Eine „Tanzoper“ nennt Philip Glass sein 1996 uraufgeführtes Werk: Zu der minimalistischen Ballett-Musik, die in ihren fortwährenden Repetitionen, ihren Überlagerungen, kleinsten rhythmischen und metrischen Verschiebungen etwas ungeheuer Rauschhaftes hat, kommen vier wiederum überlagernde Singstimmen, die den tanzenden Protagonisten zugeordnet sind. Die Sänger haben ihren Platz in der Loge, sie singen das französische Libretto, ohne dass eine Laufschrift die Übersetzung liefern würde. Der Verständlichkeit tut das keinen Abbruch – dank eines brillanten Schachzuges. Ballettchef Schindowski und Dramaturg Wolfgang Willaschek führen, von der Vorlage abweichend, einen Erzähler (Thomas Weber-Schallauer) ein, der die Handlung rückblickend erläutert, kommentiert. Er steht nicht im Off, sondern ist – alter ego von Paul oder Gerard? – auf eine sehr zurückhaltende, fast emotionsfreie Weise in das Bühnengeschehen eingebunden. (...) Im ersten Bild – Johannes Leiacker hat nur ein Bett und eine Dusche in das Zimmer gestellt – ist Schindowskis expressive, körperbetonte Choreographie noch stark dem konventionellen Ballett verpflichtet. Doch schon hier lotet er die psychologischen Tiefen des Stückes aus, wenn etwa der Erzähler sagt „Es gab nichts Peinliches zwischen Bruder und Schwester“ und Lisa dabei Paul auf eindeutige Weise umspielt. Nach der Pause ist die gleiche Ausstattung ins Gigantische vergrößert, und wenn Schindowski dann die Körpersprache zurücknimmt und die Personen halberstarrt durch eine surreale Alptraumwelt taumeln lässt, ist der Abend plötzlich packendes Tanztheater.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Regional)

Seinen auf Deutsch unter dem Titel „Kinder der Nacht“ erschienenen Roman „Les enfants terribles“ (wörtlich: „Die schrecklichen Kinder“) schrieb Jean Cocteau 1929 auf Drogenentzug. Der auch als Filmemacher hervorgetretene Dichter des Irrealen verarbeitete darin eigene bisexuelle Begierden und Ängste. Die Geschwister belauern sich realitätsentrückt in einer eigenen Welt. Es ist ein Stoff, der in Künstlichkeit zu ersticken droht. Davor bewahren ihn in Gelsenkirchen die choreografische Phantasie des Ballettchefs Bernd Schindowski und die expressive Ausdruckskraft seiner Tänzer – allen voran Alina Köppen, die als kapriziöse Lisa eine Glanzleistung abliefert. (...) Unter der Leitung von Bernhard Stengel üben sich Annette Reifig, Askan Geisler und Desar Sulejmani im fahlen Klang direkt im Parkett mit Blick aufs Publikum postierter Keyboards. So wird das Spiel, das die Geschwister spielen, vierfach gefiltert. Ein Erzähler (Thomas Weber-Schallauer) taucht im Schneetreiben auf der weiträumigen Hinterbühne auf, auf der Paul und Lisa mit anderen Jugendlichen herumtollen, bis ihn ein Schneeball verletzt. (...) Die innere Leere der Figuren gewinnt auf Johannes Leiackers weiträumiger, nahezu kahler Bühne sinnfälligen Ausdruck. Für den Kokon des Jugendzimmers auf der Vorderbühne dient ein Bett als einziges Requisit. Das taucht auf der Hinterbühne überdimensional gedoppelt auf. Und von oben bohrt sich als makabre Begehrens- und Todeschiffre ein Rüssel mit spitzem Sporn unmerklich hinab. Zu Zeiten der Missbrauchsdebatte, gewinnt Schindowskis subtile Studie der kruden Mechanismen enthemmter sexueller Begierde und lauernder Gewalt unverhoffte Aktualität. Wirklich zu fesseln vermag dieser Einblick in pathologische Strukturen allerdings nicht. Schon die vierfache Spreizung der Ausdrucksebenen schafft zu viel Distanz. Dennoch zeigte sich das Premierenpublikum höchst angetan. 

Recklinghäuser Zeitung

Les enfants terribles

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