2023-24

opera

singing

Grace

Ausstattung

Gels. Kinderchor

Dramaturgie

Live-Video

Filmer

Inszenierung

Ltg. Bühnenorchester

Tenor|Vater

Bariton|Soldat

Musikalische Leitung

Chor

Sopran|Mutter

War Requiem

Großes Haus

2010-11

Aufrüttelnde Momentaufnahmen gegen Gewalt

Vater, Mutter, Sohn und Tochter vor dem Flimmerkasten. Der holt das Geschehen aus aller Welt allabendlich ins Wohnzimmer. Auch die Nachrichten von Kriegen am Hindukusch oder irgendwo in Afrika. Doch plötzlich wird die Gewalt ganz real, als ein Soldat durch die Tür in die Familienidylle hereinbricht und tot zu Boden sinkt. Dies der Beginn der szenischen Aufführung von Benjamin Brittens „War Requiem“, mit dem das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier jetzt für Aufsehen sorgte.
Brittens großes Oratorium als dezidierte Anti-Kriegs-Oper? So wie Regisseurin Elisabeth Stöppler und Ausstatterin Kathrin-Susann Brose diese eindringliche Bekenntnismusik in Szene setzen, muss die Antwort lauten: „Ja“. Den radikalen Pazifisten Britten haben sie gewiss auf ihrer Seite. Wie ihm geht es auch dem Regieteam ein für alle Mal um die Absage an jede Form von Gewalt.
Neben der lateinischen Totenmesse als Gerüst greift Britten zurück auf die Lyrik des im Ersten Weltkrieg getöteten Dichters Wilfred Owen: Sedimente der bitteren Erfahrung von sinnlosem Leid und Tod,
Es entstehen aufrüttelnde Bilder, Momentaufnahmen unterschiedlicher Situationen, in die Menschen geraten. Kollektive Opfer sind sie, aber auch potenzielle Mörder, wenn sie sich von den Mächtigen blenden lassen. Das macht Elisabeth Stöppler im Sanctus frappierend deutlich: die Massen strömen einem als britische Flagge „verkleideten“ Idol hinterher. Es könnte auch jede andere Flagge sein! Mitunter geraten die Bilder leicht kitschig wie die Pietà mit totem Soldaten. Virtuos ist an dieser szenischen Umsetzung die Personenführung. Keine leichte Angelegenheit angesichts der Hundertschaften auf der Bühne.


Münsterländische Volkszeitung

(…) Kann man ein Requiem, eine Totenmesse szenisch darstellen? Elisabeth Stöppler hatte sich dieser Aufgabe gestellt und im Musiktheater im Revier bewiesen, dass es funktioniert und dann mit Bravour, wie der Beifall am Ende des Stücks bewies. Es war sicherlich kein leichtes Unterfangen, denn das Stück bietet keine Handlung. Im Vergleich zu anderen Requien, ist das War Requiem von Benjamin Britten eine Komposition, die aus Teilen des Textes zur Missa pro Defunctis, der lateinischen Liturgie, und aus Gedichten von Wilfred Owen, der diese während des ersten Weltkriegs in den Schützengräber schrieb, besteht. Elisabeth Stöppler gelang es ein Handlungsgespinst zu weben, durch dessen Fragmente sich ein roter Faden zieht, mit dem sie den gleichen Appell und Hoffnung wie Britten erreichen will. Die Handlung des Stücks, das über weite Teile, trotz großer Besetzung, ein Werk stiller Trauer ist und ein Andenken an die Millionen von Kriegstoten sein soll, findet in unserer Gegenwart statt. 
Die Inszenierung beginnt damit, dass eine Familie – Vater, Mutter und zwei Kinder – vor dem Fernseher sitzt und sich eine Reportage über ein Kriegsgeschehen ansieht. Plötzlich bricht der Krieg in ihr Wohnzimmer ein, indem ein Soldat durch den Schrank ins Zimmer fällt und zusammenbricht. Reine Fiktion? Sicher nicht, wenn man bedenkt, dass Auswirkungen von Kriegen auch schon in deutsche Wohnzimmer ihren Einzug gehalten haben; wo deutsche Soldaten im Ausland ihr Leben lassen mussten. Aber das Stück macht betroffen, nimmt einem teilweise die Luft zum Atmen, wirkt emotional. (…) 
Beifall gab es dann auch für die Solisten, Petra Schmidt, Sopran/Mutter, William Saetre, Tenor/Vater und Bjørn Waag, Bariton/Soldat, sowie für die Statistenkinder. Grandios und überwältigend jedoch die Chöre: Opern- und Extrachor des MIR, unter der Leitung von Christian Jeub und der Gelsenkirchener Kinderchor, unter der Einstudierung von Alfred Schulze-Aulenkamp. Um es auf einen Nenner zu bringen: ein außergewöhnlich sehens- und hörenswerter Abend, der hoffentlich noch viele Zuschauer in seinen Bann bringen wird.

Stadtspiegel Gelsenkirchen

Fünf Sterne !!!!! 

Einen fulminanten Abschluß haben das MiR in Gelsenkirchen und Regisseurin Elisabeth Stöppler mit dem ungewöhnlichen "War Requiem" zu ihrem dreiteiligen Britten-Zyklus (wir erinnern gern an die großen Abende mit "Peter Grimes" und "Gloriana") hingelegt. Normalerweise hasse ich mit Video und Filmen unterlegte Musiktheater-Produktionen, wie man sie leider bei jeder dritten Premiere zeitgemäß vorgesetzt bekommt, doch die live gefilmten Bilder (Thorsten Alich und Tobias Etter) sind nicht nur ästhetisch passend, sondern sinnstiftend. Über "die Familie" in der "heilen Welt" bricht die Kriegssituation herein, zunächst wirkt das zur lyrischen Musik Brittens, der die lateinische Totenmesse gegen Gedichte des im ersten Weltkrieg umgekommenen, britischen Dichters Wilfred Owen setzt, recht merkwürdig, doch je mehr der eineinhalbstündige Abend sich fortsetzt, um so zwingender dreht sich die Spannungsschraube zu, jeder, so das Fazit, kann in Extremsituationen Täter wie Opfer werden. Kathrin-Susann Broses Ausstattung setzt in ihrer Schlichtheit die rechten Akzente.
Doch was wäre der Abend ohne die vier Darsteller: Petra Schmidt mit leuchtendem Sopran, William Saetre mit ausdruckstarkem, in die Kopfstimme wechselndem Tenor, wo nötig; der robuste Bariton Björn Waags, der freilich noch ausdrucksstarker durch schlichte Intonation wäre, so durch seine Unart die Töne von unten anzusingen, immer wieder in überflüssiges Pathos rutscht. Und. last not least, die großartigen Chöre und Extrachöre des MiR, wie der tolle Gelsenkirchener Kinderchor, die schon immer von uns gelobt wurden, doch in ihrer Klangintensität wie Spielfreude eine Messlatte für alle anderen Opernchöre legen. Ihr seid irre! Und das gilt eigentlich für alle Darsteller, denen doch szenisch (und im Film) einiges an starkem Tobak abverlangt wird.
Dazu das großartige Orchesterkollektiv der Neuen Philharmonie Westfalen im Graben unter Rasmus Baumann, einem der sicherlich talentiertesten der Jungdirigenten, wie Clemens Jüngling adäquat für das Bühnenorchester. Ein unglaublich starker Musiktheaterabend, wo alle an einem Strang ziehen, von höchster szenischer, wie musikalischer Qualität. Schlichtweg ein "Muss" für jeden Connaisseur des Musiktheaters.

Der Opernfreund

Im Jammertal der Geissel Krieg

(...) Es ist die erste Bühnenversion dieses Bekenntniswerkes. Der Antimilitarist Britten hat es 1962 nach dem Wiederaufbau der von der Hitler-Luftwaffe 1940 zerbombten Kathedrale von Coventry den Millionen Toten zweier verheerender Weltkriege gewidmet. Mit ihm krönen Regisseurin Elisabeth Stöppler und der für Brittens feine musikalische Schwingungen so empfängliche Chefdirigent Rasmus Baumann nach „Peter Grimes“ und der Ausgrabung „Gloriana“  ihre zu den Gelsenkirchener Großtaten zählende Britten-Trilogie der Außenseiter.
So wie Britten in seinem Requiem das jenseitsgerichtete Heilsversprechen der lateinischen Totenmesse durch englische Antikriegslyrik des im Ersten Weltkrieg gefallenen Dichters Wilfred Owen unterläuft, konfrontiert die Inszenierung das Publikum durch visuelle Brechungen mit der Geißel Krieg, dem Kreislauf der Gewalt, mit Angst und Trauer.
Der Gefahr vordergründiger Abbildung entgeht Elisabeth Stöppler, weil sie auf der Bühne keinen Krieg nachspielen lässt. Auch in den Videos, mit denen sie die Szene live überhöht oder durch ikonenhafte Bilder konterkariert, findet sich kein Dokumentarmaterial von den Fronten dieser Welt. Wie ein Todesbote verfolgt Videofilmer Andreas Etter jede Regung in den Gesichtern und jede Geste des blendend einstudierten, noch im Piano traumhaft sicheren,  um den Gelsenkirchener Kinderchor ergänzten Opernchores. Vor dieser Kamera gibt es kein Entrinnen.
Zum Wunsch nach ewigem Frieden bricht auf Kathrin-Susann Broses offener Bühne die Soldateska in Gestalt eines tödlich verwundeten Soldaten in das Idyll eines durch Kriegsberichte im Fernsehen aufgeschreckten Elternpaares mit zwei hinzu erfundenen Kindern ein. Bariton Bjørn Waag stirbt an diesem Abend mehrere Tode. Zur Apokalypse des Dies irae pocht Tenor William Saetre in der Vaterrolle gegen den Widerstand der Menge auf Aufklärung der Todesursache. Zum Offertorium opfern die Kinder in Verkehrung des alttestamentarischen Gleichnisses von Abraham und dessen Sohn Isaak ihre Eltern. Zum Sanctus hüllt sich Sopranistin Petra Schmidt, zuvor die Mutter und Interpretin der liturgischen Passagen, in den Union Jack und stachelt die Menge zum Krieg auf. Die fesselndsten Bilder gibt der Frauenchor der blutigen Toten ab, der das Paradies der Überlebenden beschwört.
Gegen die überwältigende Flut szenischer Visionen behauptet sich Brittens vom diabolischen Tritonus durchwirkte, durch harte Dur-Moll-Reibungen geprägte Musik weniger durch unbändige Wucht als durch feine Dynamik und exzellente Balance. Rasmus Baumann als umsichtiger Dirigent des großen Orchesterapparates und Clemens Jüngling als Leiter des Kammerorchesters auf der Bühne, das sich ebenfalls aus der Neuen Philharmonie Westfalen rekrutiert, zeichnen die Fieberkurven der Musik bestechend transparent mit Herzblut und Akribie nach.

Recklinghäuser Zeitung

Enorme szenische Kraft

Im Musiktheater im Revier ist das War Requiem nun zum ersten Mal als „Szenische Aufführung“ zu erleben: der Regisseurin Elisabeth Stöppler, die in den Vorjahren hier schon Brittens Opern „Peter Grimes“ und „Gloriana“ höchst eindrucksvoll inszeniert hat, ist es gelungen, die
Innenspannung des Werks in Bilder und Visionen von erschütternder Aussagekraft zu über-setzen, und dabei kann sie sich mit Kathrin-Susann Brose (Bühne / Kostüme) und dem Videokünstler Andreas Etter auf ein eingespieltes Regieteam verlassen. Sie sagt „Ich habe versucht, der Temperatur der Musik nachzuspüren, ihrer Fieberkurve zu folgen, mich ganz direkt berühren zu lassen.“ Und diese innere Erregung hat sie auf das gesamte Bühnengeschehen übertragen: auf den Opern- und den Kinderchor, die szenisch wie musikalisch wunderbar stimmig zusammen wirken (Leitung Christian Jeub und Alfred Schulze-Aulenkamp) – vor allem aber auf die Hauptakteure, die ihren Part, zutiefst ergriffen, singen und spielen: die Sopranistin Petra Schmidt (Mutter), der Tenor William Saetre (Vater), der Bariton Björn Waag (Soldat) so-wie, sprachlos agierend, die Kinder (Karla Koball und Balthasar Gumbinger).
Wie Britten zwei Textebenen ineinander komponiert hat - die lateinische Messe und die Leiderfahrung des einzelnen Menschen - so ist auch das Bühnengeschehen mehrschichtig: die ergreifenden Einzelschicksale - die chorischen Aussagen der Messe – sie werden live gefilmt und zusammen mit vorproduzierten Filmaufnahmen der Akteure auf drei große Leinwände geworfen – und es ist so, als wären Brittens beschwörende Botschaften von einst die aktuellen Reportagen unserer Medienwelt von heute.
Und so vollzieht sich auch das instrumentale Geschehen auf zwei Ebenen: das große Orchester, von Gelsenkirchens Opernchef  Rasmus Baumann hervorragend geführt, spielt im vorderen Bühnengraben; bei den intimsten, seelischen Regungen aber taucht auf der Bühne selbst ein solistisch besetztes Kammerorchester aus der Tiefe auf (Leitung Clemens Jüngling), und 
es entstehen Oasen der Stille.    
Benjamin Britten hat sein Requiem weitgehend tonal komponiert; von der Avantgarde, die damals herrschte, wurde es hierzulande kaum beachtet. Heute, nach fünfzig Jahren – und neu entdeckt als eine Musik, die enorme szenische Kräfte freisetzt – erweist sie sich als ein Meis-terwerk, das die Zeit überdauert hat. Am Ende der Gelsenkirchener Premiere: langes, stummes Ergriffensein – und dann überwältigender Jubel.

Ruhr-Nachrichten

Gegen den Krieg

<div><p>„Dies illae, dies irae“ – der Tag des Zornes ist es, den Elisabeth Stöppler ins Zentrum ihrer Deutung von Brittens War Requiem stellt. Stöppler wagt eine szenische Umsetzung des großen Anti-Kriegs-Oratoriums. Sie erzählt dabei auf drastische Weise, wie der Krieg ins Alltagsleben eindringt, wie er Familien zerstört und Unschuldige zu Mördern macht. Auch Kinder werden gnadenlos ins Töten hineingerissen. Und inmitten von Zerstörung, Angst und Gewalt wütet in Gestalt eines Soldaten der ewig wiederkehrende Krieg, den man nicht umbringen kann. Kathrin-Susanne Brose hüllt den Chor in Alltagsklamotten, lässt die Haare der Sängerinnen und Sänger aus Gram weiß werden und malt dem Kinderchor Tarnung ins Gesicht. Andreas Etter schaut mittels Live-Kamera dem Schrecken ins Auge. Stöppler schafft aussagekräftige Bilder. Vor allem ihrer großen Übersicht und Umsicht ist es zu danken, dass von der Bühne – mit Chören und Kammerorchester beinahe überfüllt – klare Signale gesendet werden und das Ganze nicht in einem wimmelnden Chaos endet. </p><p>Ihre Kunst, in dieser Masse an Personen keine einzige zu übersehen, tritt deutlich und meisterhaft zu Tage. Stöppler scheut weder Blut als Zeichen für Krieg und Tod, noch Kitsch wie die lebende Pièta in einer Videosequenz. Toll sind die schauspielerischen Leistungen von Karla Koball und Balthasar Gumbinger, die beiden Kinder, die durch Krieg und Gewalt zu früh erwachsen werden. Bjørn Waag zeichnet den Soldaten mit seinem schön timbrierten Bariton zwischen Gefühlen von Angst und hemmungsloser Martialität. Petra Schmidt lässt ihren sicheren Sopran im Sanctus trompetenhaft erschallen, William Saetres schlanker Tenor macht die Kriegsgräuel erfahrbar, die in jener Lyrik des Dichters Wilfred Owen stecken, mit der Benjamin Britten den gewöhnlichen Ablauf der lateinischen Totenmessen unterbricht.</p><p>Christian Jeubs Opern- und Extrachor, vor allem aber auch der von Alfred Schulze-Aulenkamp einstudierte Kinderchor setzen glanzvolle Momente. Das gilt auch für die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann und das auf der Bühne platzierte Kammerorchester, dass von Clemens Jüngling geleitet wird. Klappert es zu Beginn noch ab und an in rhythmischer Hinsicht und bei der Abstimmung zwischen Bühne und Graben, legt sich diese Uneinigkeit ziemlich bald und weicht im weiteren Verlauf des Abends einer beeindruckenden Einheit zwischen Musik und Bühnengeschehen. Das Publikum verfolgt Brittens Werk konzentriert und mit großer Spannung bis zum Schluss. Nach dem „Requiescant in pace“ herrscht erst lange knisternde Stille, dann folgt brandender Applaus. In Stöpplers konsequente Anti-Kriegshaltung würde Britten, der überzeugte Pazifist, sicher vorbehaltlos einstimmen. Gleichwohl ist die Frage legitim, ob Brittens Musik, die ja oratorisch angelegt ist, wirklich solcher Bebilderung bedarf. </p><p>Verströmt sie nicht schon für sich allein die Aura tiefer Trauer, spricht aus ihr nicht maßloses Entsetzen und stilles Gebet? Wirken Bilder da nicht aufgepfropft und übertrieben? Oder braucht es in unserer hektischen Mediengesellschaft doch vertiefende Reize? Dieses War Requiem bietet da reichlich Anlass zur Diskussion. Gar keine Frage, dass Stöppler mit dem Abschluss ihrer Gelsenkirchener Britten-Trilogie noch einmal ein Ausrufezeichen setzt. Deren Höhepunkt aber war ihre phänomenale, verblüffende Gloriana.</p></div>

Opernnetz.de

„War Requiem“ als Weltkrieg im Wohnzimmer

Es lag epochenlang in der Natur der Sache, dass wirkungsvollen Kirchenkompositionen eine gewisse Theatralik nicht abzusprechen war. So haben sie denn auch Verdis „Requiem“ so bewundernd wie böse seine „schönste Oper“ bezeichnet.
Da ist der Schritt, den Elisabeth Stöppler an Gelsenkirchens Musiktheater wagt, kaum noch überraschend. Sie macht aus Benjamin Brittens „War Requiem“ Musiktheater, erzählt Geschichten, die es bei Britten nicht gibt, sucht szenische Entsprechungen.
  
Das Premierenpublikum feierte Stöpplers Britten-Deutung (die dritte nach „Peter Grimes und „Gloriana“) mit einhelliger Begeisterung. Es fällt nicht ganz leicht, dem Applaus zu 100 Prozent zu folgen. Tatsächlich hat die erst 34-Jährige einen oft anrührenden Abend geschaffen, der das Grauen, das Britten beschreibt, in vielen Momenten sehr klug dosiert und eben nicht inflationär verheizt.
Doch entschied sich Britten trotz des Anlasses (die Vernichtung Coventrys durch deutsche Angriffe 1944) für eine überzeitliche Form. Er nutzte Gedichte des noch in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges schreibenden Wilfred Owen, um sich von der Anklage gegen den einen Hitler-Krieg zu lösen. Britten stellte das Versöhnen durch Kunst und Menschlichkeit weit über die reine Liturgie.
Stöppler aber sucht durchaus konkrete Zeit-Räume auf. Noch ehe die beiden Orchester (auf der Bühne agiert die Kammerformation, im Graben das größere Ensemble) uns in Brittens beunruhigend schillernde Klangwelt führen, lümmelt sich vor brüllendem Fernseher eine Durchschnittsfamilie unserer Tage auf dem Sofa. Die Weltkriege sind im Wohnzimmer angekommen; wir sitzen vor der Glotze, wenn es für andere ans Sterben geht. Doch schlafartig entzieht sich Stöppler plumpen Realismen: Ins Reich von Couch und Sweatshirt taumelt ein Schwerverletzter in Uniform – die Totenmesse ist mitten unter uns.
Nicht durchweg glückt ein geschlossener Abend, der Brittens Meisterkomposition gerecht wird, in der Wut und Ohnmacht, aber auch die fiebrigen Ängste aus Lazarett und Graben Musik geworden sind.
Aber er erreicht uns. Ganz sicher liegt das auch an seinen Klangqualitäten. Björn Waag als Soldat ist ein enorm beeindruckender Schmerzensmann, Petra Schmidt als Mutter gelingt eine beklemmende Allianz aus bitterer Klage und anmutigem Belcanto. Rasmus Baumann und Clemens Jüngling als Dirigenten schaffen großflächige Panoramen, wenn auch auf Kosten mancher Transparenz. Die Palme aber gebührt Chor und Kinderchor, die für diesen Abend ausnahmslos weit über sich hinaus gewachsen sind.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Kultur)

War Requiem

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