2023-24

singing

opera

Arie Elisabetta

Canzone del Velo (Schleierlied der Eboli)

Duett Filippo Großinquisitor

Quartett

Musikalische Assistenz

Elisabetta di Valois

Il Grande Inquisitore

Chor

Tebaldo

Il Conte di Lerma

La Principessa Eboli

Musikalische Leitung

Un araldo reale

Sechs Deputierte

Inszenierung

Filippo II, Re di Spagna

Rodrigo, Marchese die Posa

Dramaturgie

Regiemitarbeit

Kostüme

Un frate

Una voce dal cielo

Don Carlo, Infante di Spagna

La Contessa d'Aremberg

Bühne

Don Carlo

Großes Haus

2012-13

„Don Carlo“ ist wohl die ehrgeizigste Oper, die Giuseppe Verdi (1813 – 1901) geschrieben hat: zwischen 1867, der Uraufführung in Paris, und 1886 zählt die
Verdi-Forschung allein sieben Fassungen. Von ihnen favorisiert wird seit 1884 die ‚Mailänder Fassung‘, die nun auch im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier ihre stürmisch gefeierte Premiere erlebte.
Schillers Drama, das Verdi zur Vorlage diente, erzählt die Tragödie von Menschen am spanischen Hof König Philipp II., die, um 1560, ins Räderwerk politischer und inquisitorischer Macht geraten und daran zugrunde gehen: eine Tragödie, die Schiller und Verdi zu ihrer und auch wir zu unserer Zeit erlebt haben.
Und dies heute zu inszenieren, ist eine geradezu zwingende Idee – aber wie?

Der Schweizer Regisseur Stephan Märki hat sich von der Münchenerin Sascha Gross eine Bühne aus hohen, silbergrauen Fassaden und schwarzem Umfeld bauen lassen, die in ihrer Starre wie ein Staatsgefängnis anmutet. Und in dieser gnadenlosen Leere dürfen die Menschen - welch ein Kontrast - ihr Leid, ihre Verzweiflung, ihr intimes wie politisches Unglück mit heftigster Leidenschaft zum Ausdruck bringen. Damit gerät aber auch Verdis hochexpressive Musik
ganz unverstellt in den Vordergrund, und das um bekannte Gäste verstärkte Solisten-Ensemble kann sich ungehindert entfalten und aussingen.

Am Pult steht Rasmus Baumann: er holt aus den Musikern das heraus, worum 
Verdi hier wie nirgend sonstwo gerungen hat: die Intensität, die Radikalität, ja 
das Aufeinanderprallen von Gefühlen. Zu loben ist hier auch das musikalische Einstudierungsteam, das den Sängern Verdis Rollenerfahrung optimal erschlossen hat. Bejubelte Höhepunkte sind natürlich die leidenschaftlichen Arien von Königin Elisabeth (Sopran Petra Schmidt) und der intriganten Prinzessin Eboli (Carola Guber), vor allem der ergreifende Monolog König Philipps: „sie hat mich nie geliebt“ (Bass Renatus Mészar). Verdis Meisterstücke sind darüber hinaus die ungemein dramatischen Dialoge zwischen Carlo, dem Infanten (Tenor Daniel Magdal) und dem Marquis Posa (überragend Bariton Günter Papendell) – zwischen Posa und Philipp und, besonders erschütternd, zwischen Philipp und dem unerbittlichen Großinquisitor (Bass Michael Tews), der vom König den Tod seines ketzerischen Sohnes Carlo abfordert.
Kunstverständiger und dennoch publikumsnah kann man dieses problematische
Meisterwerk Verdis wohl nicht über die Rampe bringen.

Ruhr-Nachrichten

Großer Wurf zum Verdi-Jahr

Noch bevor am Musiktheater im Revier (MiR) die düstere Ouvertüre von Giuseppe Verdis „Don Carlo“ einsetzt, tänzelt mit Alfia Kamalova die leibhaftige Stimme vom Himmel als fideles Kommunionkind durch die finstere Kapelle von St. Just. Ein hinreißendes Bild für die verlorene Unschuld der Kirche.

In Schwarz eingekleidet wird die französische Königstochter Elisabeth für die Hochzeit mit dem spanischen Herrscher Philipp II., um den Krieg beider Länder zu beenden. In diesem Moment trauert Don Carlo in seiner Romanze der Liebe zu seiner Verlobten nach, die mit dem Ehebund zur unantastbaren Stiefmutter wird. Wie im Zeitraffer schürzt Stephan Märki schlüssig den Liebeskonflikt der Oper in der vieraktigen Mailänder Fassung.
Verdis Freiheitsfanal erzählt vom Mahlwerk der Macht. Dem eng mit den persönlichen Konflikten verwobenen politischen Erzählstrang gewinnt der Schweizer Regisseur aktuelle  Brisanz ab. Seine Inszenierung zeigt Menschen im Würgegriff des religiösen Fundamentalismus. Der Großinquisitor tritt als despotischer Christus mit Dornenkrone auf – ein Zerrbild des Christentums. 

Dem Gelsenkirchener Haus ist ein großer Wurf zum Verdi-Jahr geglückt, noch bevor das Jubiläumsjahr begonnen hat. In seiner dichten Inszenierung steigert der Intendant des Berner Theaters die großen Dialoge zu packender Wirkung. Wie Gefangene im Kerker zeigt Sascha Gross’ Bühne die Akteure analog zu Verdis raffiniert eingedunkelter Clair-obscur-Dramaturgie, die sich nur in der Gartenszene auflichtet. Anna Eiermanns Kostüme zitieren raffiniert das 16. Jahrhundert, ohne museal zu wirken. 

Verdis Drama verlangt Stimmen von Format. Petra Schmidt gewinnt der wie ein Tier gehetzten Elisabeth feinste Phrasierung und betörendes Pianissimo ab. Günter Papendell ist ein kraftvoller, schlanker und wunderbar beweglicher Posa, Renatus Mészár als Philipp ein souveräner skrupulöser Despot, Carola Guber eine nuanciert singende Eboli mit farbenreichem Mezzo und Daniel Migdal ein schwärmerischer Carlo mit strahlkräftigen Höhenflügen. Michael Tews mag es an abgründiger Schwärze fehlen, aber sein kultiviert gesungener Großinquisitor wirkt dadurch menschlich näher. Großartig Dong-Won Seo als Mönch, grandios der Chor. Chefdirigent Rasmus Baumann durchdringt Verdis komplexe Musik mit glühender Intensität und leidenschaftlichem Brio. Die Neue Philharmonie Westfalen entdeckt zwischen beseeltem Piano und wuchtigem Ausdruck differenzierteste dynamische Nuancen. Auch musikalisch ist dieser „Don Carlo“ ein Ereignis.

Recklinghäuser Zeitung

Rauschhaft schön

Hohe Regiekunst, fabelhaft musiziert: Verdis „Don Carlo“ hatte am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier Premiere. Es wurde die gefeierte Premiere einer neuen Inszenierung, die auch in gesanglicher Hinsicht rauschhaft und abgründig schön war.

Hilsdorfs Meisterinszenierung von Verdis „Don Carlo“ hält sich seit 1988 (!) im Repertoire des Aalto. Dass sich auch ein kleineres Haus selbstbewusst dem Werk stellen kann, beweist jetzt gleich nebenan das Musiktheater im Revier: Samstag feierte man ein Kammerspiel mit Thrillerqualitäten.

Man kann Stephan Märkis strenge, auf den ersten Blick konventionelle, in Details aber meisterlich anspielungsreiche Deutung vielleicht sogar als Gegenentwurf zu Hilsdorfs fordernder Bilderflut begreifen. Und fragt man sich angesichts dieser mehr als drei spannenden Opernstunden, was eigentlich gutes Theater ausmacht, wird eine so einfache wie heikel umzusetzende Binse die Antwort sein: Man muss die Geschichte erzählen können, muss den Menschen Raum geben, um die es geht, ja, muss noch Monstern eine Seele zubilligen.

Märki hat eine sichere Hand für den Krieg der Herzen und der Länder am spanischen Hofe. Eben noch „friert“ er die Machtbande von König zu Königin ein, lässt Grabeskälte ahnen, dann wieder zieht er eine feine Linie bis zur Diktatur des 20. Jahrhunderts, wenn Hofstaat und Volk an Lorca denken lassen. Sascha Gross’ grauer Einheitsbunker lässt keinen Zweifel, dass die schönen Tage von Aranjuez lang vorüber sind. Die doppelgesichtigen Kostüme Anna Einermanns komplettieren das stimmige Szenario.
Es ist keine Beugung des Stoffes, dass Märki das Stück stark im Zeichen des Kreuzes deutet: Carlo und sein Freund Posa bilden es mit ihren Körpern. Später wird der Großinquisitor mit Dornenkrone als Schmerzensmann Opfer fordern. Allein: Ein dicker Kardinalsklunker an der Hand verrät das Büßergewand als klerikale Heuchelei.

Schillers Tragödie, die intrigenreich Individuum und Staatsräson zu Gegnern macht, hat Verdi (trotz schlimmer Wehen) zu einem seiner größten Geniestreiche geführt. Seine Lieblingsthemen (von übermächtigen Vätern bis zur Liebe im Würgegriff der Hierarchie) hat Schiller grandios vorgegeben, Verdi zog gleich. Musikalisch ist dieser Abend so rauschhaft wie abgründig schön. Famos transparent leuchtet die Neue Philharmonie Westfalen die Klänge zwischen Triumph und Terror aus. Und was für Sänger. Günter Papendells Posa ist ein Ereignis: ein verschwenderisch strömender Bariton, der noch im Großen Kunstliedfarben zeigt. Daniel Magdal stellt sich mit Kraft den Carlo-Höhen. Seine eigenwillige Stilistik erinnert an Schellack- Tenöre; einige Gondoliere-Schluchzer müssten nicht sein. Petra Schmidt ist eine überwältigend lyrische Elisabeth, Carola Guber eine Eboli von packender Präsenz. 
Und Renatus Mészárs Philipp feiert das Premierenpublikum für die Studie, um die es geht: den Abgesang der Macht.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Kultur)

Don Carlo

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