2022-23

balett

dancing

Orgelsinfonie 1.Satz

Orgelsinfonie 2.Satz

"Response" 1. Satz

"Response" 2. Satz

"Response" 3. Satz

Ballett im Revier

Musikalische Leitung

Bühne und Kostüm

Licht

Dramaturgie

Inszenierung und Choreografie

The Vital Unrest

Großes Haus

2016-17

Jubel für den neuen Ballettabend

Reiner, abstrakter Tanz: Die Ballettchefin des Musiktheaters im Revier stellt neue Choregrafien zu Musik von Georgs Pelecis und Saint-Saëns vor. Am Anfang ist der Stillstand: Mit dem Rücken zum Publikum verharrt eine Tänzerin in eingefrorener Pose auf der Bühne. Am Ende des Abends wird diese Szene in einen großartigen Strudel energischer Bewegung münden. Vom Suchen und Finden des künstlerischen Ausdrucks erzählt die neue Kreation der Gelsenkirchener Ballettchefin Bridget Breiner, die mit der Premiere von „The Vital Unrest“ im Musiktheater im Revier ei­nen begeisternden Abend kraftvoll-eleganter Körperkunst und grandioser Musik feierte.

Die US-amerikanische Choreografin fuhr ihre bislang größten Erfolge mit Handlungsballetten wie dem Aschenputtel-Märchen „Ruß“ oder dem Klassiker „Schwanensee“ ein. Dass sie auch reinen, abstrakten Tanz brillant umsetzen kann, beweist die neue Produktion nachdrücklich und überzeugend – eine Choreografie, die kein Handlungsballett sein will und doch so vieles erzählt. Der Titel „Die lebendige Unruhe“ bezieht sich auf einen Satz der großen Choreografin Martha Graham (1894-1991), mit dem sie die rastlose Suche des Künstlers, des Menschen überhaupt nach Kreativität einfordert.
Der erste, mit fast einer Stunde längere Teil des Abends setzt sich zu den opulenten Klängen des Letten Georgs Pelecis, einer Auftragskomposition, in kraftvollen Soli und athletischen Ensembleleistungen mit dem Aufspüren von Inspiration und Form auseinander und mit dem unbedingten Willen, Neues zu schaffen. Bridget Breiner selbst demonstriert zu Beginn als Ballerina perfekte Technik und stilvollen Ausdruck zum puren Klavierklang (als Video-Einspieler Valtteri Rauhalammi) und bringt dann ihre quirlige Truppe in Bewegung.

Der zweite, abstraktere Part zeigt das Ergebnis der Suche nach neuen Wegen als reinen, energiegeladenen Tanz. Die zeitgenössischen Bewegungsformen der durchtrainierten Compagnie weichen dem eleganten Kanon klassischen Spitzentanzes. Auch hier wirkt dieses starke, zwölfköpfige Ensemble aus hervorragenden Künstlerpersönlichkeiten bestens geschult. Musik und Bühnenbild bilden gleichermaßen die sinnstiftende Klammer zwischen Auf- und tänzerischem Ausbruch. Camille Saint-Saens’ klang-üppige, romantische Sinfonie Nr. 3, bekannt als Orgelsinfonie, legt den Teppich aus für Vitalität und Lebenskraft, meisterlich interpretiert von der Neuen Sinfonie Westfalen unter Rauhalammi und mit Annette Reifig an der Orgel. Die Uraufführung der Sinfonie „Response“ von Georgs Pelecis tritt in den Dialog mit der Orgelsinfonie, greift Motivik und Instrumentation in nahezu cineastischen Ausmaßen auf.

Die Bühne (Jean-Marc Puissant), zu Beginn groß, offen und voller Bodenelemente, die die Tänzer nach und nach aus dem Weg räumen, bietet am Ende mit Aquarellen aus zart zerfließenden Blau- und Erdtönen den höchst ästhetischen Rahmen für feinsten Spitzentanz als Hommage an die vitale Kraft der Inspiration. Das Publikum, es jubelte zu Recht beglückt.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Kultur)

O du „selige Unruhe“

Dass die Bewunderung für die amerikanische Tanz-Ikone Martha Graham bei Bridget Breiner, der ebenso verdienstvollen wie innovativen Direktorin des Gelsenkirchener Balletts im Revier, ihre fruchtbaren Spuren hinterlassen hat, ist unverkennbar. Mit ihrem neuesten abendfüllenden Programm bezieht sich Bridget Breiner direkt auf die Pionierin des Modern Dance. The Vital Unrest heißt das zweistündige Programm, die „lebendige Unruhe“: Das Bekenntnis Martha Grahams zur kreativen Unruhe als Quelle schöpferischer Energie gehört zu den Leitlinien der Arbeit von Bridget Breiner. Eine Leitlinie, die sie in ihrem neuen, euphorisch bejubelten, abendfüllenden Programm im voll besetzten Musiktheater im Revier in den Mittelpunkt stellt. Als Verbeugung vor Graham, dem 1991 verstorbenen Idol, leitet Bridget Breiner den Abend mit einem eindrucksvollen Solo ein. Ein wenig selbstverloren, zart, aber mit großer Innenspannung, garniert mit hauchdünnen Klavierklängen und gekleidet in einem schlichten Leibchen scheint sie ihre Kraft aus der inneren Begegnung mit dem Vorbild zu beziehen, bevor die Compagnie die Bühne betritt und den ersten Teil eröffnet. Der soll zu den Klängen der eigens für die Produktion komponierten Sinfonie Response von Georgs Pelēcis einen härter geschnitzten Gegenpol zum zweiten Teil setzen, in dem Bridget Breiner mit Camille  Saint-Saëns‘ Orgel-Symphonie an Martha Grahams Vorstellung einer „seligen Unruhe“ anknüpfen will. 

Ein Konzept, das nicht ganz aufgeht. Denn Saint-Saëns‘ Symphonie strahlt, vom warm fließenden Adagio abgesehen, mehr prickelnde Unruhe aus als die über weite Strecken geradezu banal flimmernde, minimalistisch narkotisierende Musik des lettischen Kollegen. Da kann Breiner für die mehr als 50 langen Minuten der Komposition noch so fantasievoll ihr ganzes Reservoir an Bewegungsformen und -formeln aufbieten und jeden Tänzer ihrer zwölfköpfigen Compagnie mit dankbaren Aufgaben betrauen. Die Musik konterkariert ihren Versuch, mit bewusst asynchronen und gegenläufigen Bewegungsabläufen die Ideale klassischer Ballettkunst auszuhebeln, also quasi aus der Ruhe zu bringen. Zu den teils nervös flirrenden, teils orgiastisch aufbrausenden Tönen der Orgel-Symphonie des Franzosen versucht Bridget Breiner, zurück zu Symmetrie und Ordnung zu finden. Hier gelingen ihr Sentenzen von entwaffnender Schönheit. Nicht nur im gefühlvollen Adagio, sondern in allen Teilen. Am Ende, zu den rauschhaften Finalklängen, fügen sich die Tänzer zu einer geordneten Truppe in Reih und Glied und verleihen dem Abend einen harmonisch versöhnlichen Schlusspunkt, der beweist, dass sich klassische Schönheit und moderne Expressivität nicht ausschließen müssen, sondern fruchtbar ergänzen können. 

Das alles spielt sich in Bühnenbildern von Jean-Marc Puissant ab, die die Spielfläche durch Wände eingrenzen, die sich aber flexibel öffnen und gleichzeitig als Projektionsflächen für Videoeinblendungen einzelner Musiker im ersten und für frühlingshaft farbige Aquarell-Skizzen im zweiten Teil nutzen lassen. Das Ensemble des Balletts im Revier absolviert sein anspruchsvolles und anstrengendes Programm auf dem gewohnten, von Bridget Breiner sorgfältig erarbeiteten, hohen Niveau, wobei spürbar wird, wie dankbar die Chance von jedem einzelnen Mitglied genutzt wird, auch solistisch oder in wirkungsvollen Pas de deux‘ in Erscheinung treten zu können. Die Neue Philharmonie Westfalen unter Leitung von Valtteri Rauhalammi sorgt für die eindrucksvolle orchestrale Live-Untermalung. Für die qualitativen Unterschiede der Kompositionen können die Musiker nichts. Begeisterter Beifall für eine tänzerisch hervorragende Neuproduktion Bridget Breiners, die lediglich durch eine etwas unglückliche musikalische Disposition getrübt wird.

Opernnetz.de

Von der Macht schöpferischer Unruhe

Sie kennt dieses Gefühl nur zu gut. Schöpferische Unruhe treibt die Gelsenkirchener Ballettchefin Bridget Breiner an. Sie vereitelt, sich mit Erreichtem zufrieden zu geben. Und sei es noch so gelungen. Solch unbändiger Unrast, die schon im Titel anklingt, hat die Amerikanerin ihren ausgiebig gefeierten Ballettabend „The Vital Unrest“ im Großen Haus des Musiktheaters im Revier (MiR) gewidmet.

Mit ihm verwirklicht sie einen aberwitzigen Wunsch, den sie seit langem hegt: die als Orgelsinfonie bekannte, in düsterem c-Moll komponierte dritte Sinfonie des Franzosen Camille Saint-Saëns in puren Tanz umzusetzen, ohne etwas erzählen zu müssen. Was Saint-Saëns in seiner Musik im Aufbruch aus akademischen Fesseln zu überwältigender emotionaler Wucht gelang, glückt Breiner auf der Ballettbühne. Die wogende Eleganz, zu der sie in ihrer Choreografie „Blessed Unrest“ (Beseelte Unruhe) findet, entspricht dem Harmonieverlangen klassischen Tanzes. Ihn überwindet sie indes in komplexen Hebefiguren und im leidenschaftlichen Wirbel ihrer hinreißend tanzenden zwölfköpfigen Compagnie.

„Tanz ist die verborgene Sprache der Seele“, hat die amerikanische Tanzlegende Martha Graham als Mitbegründerin eines Modern Dance bekannt, der die Schönheit seiner klassischen Herkunft nicht verleugnet. Der aber dessen starres Regelgerüst verschmäht. Martha Grahams Bekenntnis zu Vitalität, Lebenskraft, Energie und Beschleunigung, die im tanzenden Individuum einzigartigen Ausdruck findet, nennt Breiner ausdrücklich als Bezugspunkt des Abends. Diese Energie verkörperte ihr farbiger Vorzeige-Tänzer Joseph Bunn, bevor ihn im vergangenen August eine tückische Leukämie-Erkrankung aus dem Leben riss. Breiner hat „Joe“ diesen Abend gewidmet – eine feine Geste.

Brillant in den genau ausgelauschten Nuancen und ohne bombastisch aufgeblähte Rauschwirkung spielt die Neue Philharmonie Westfalen (NPW) unter der souveränen Leitung von Kapellmeister Valtteri Rauhalammi die Orgelsinfonie. Hier wird klar, mit welcher Klangballung das Orchester selbst wie eine Orgel eingesetzt wird. Da die Orgelsinfonie für einen abendfüllenden Auftritt nicht gereicht hätte, hat Breiner bei Georgs Pelecis, einem 69-jährigen lettischen Komponisten, eine Sinfonie mit dem Titel „Response“ in Auftrag gegeben, um sie voranzustellen. Pelecis gibt darin vor, auf die Orgelsinfonie zu reagieren. Doch seine unzeitgemäße Komposition kommt über schlichteste Dur-Moll-Harmonik, süßliches Säuseln und seichtes Plätschern kaum hinaus.

Dazu tauchen in Breiners konträr zur Musik spannender choreografischer Suche mit der Ballettchefin als Solistin inmitten diagonaler Läufe und erstarrender Momente noch vereinzelt erzählerische Details auf. Das lateinische „per aspera ad astra“ – durch das Dunkel der Nacht ans Licht – bestimmt nicht nur die Choreografie beider Teile dieses Abends sondern auch die künstlerisch ambitionierte Ausstattung des Franzosen Jean Marc-Puissant.

Recklinghäuser Zeitung

Bridget Breiner wagt Großes und gewinnt

„Es gibt eine Vitalität, eine Lebenskraft, eine Energie, eine Beschleunigung, die von dir in Aktion umgesetzt wird“, zitiert Bridget Breiner die Modern Dance-Legende Martha Graham im Programmheft. Es sei „deine Aufgabe, deinen Ausdruck klar und direkt zu finden“, fordert Graham den Tanzenden auf. Breiner hat mit ihrer Truppe hart gearbeitet, um diesen individuellen, dynamischen Ausdruck umzusetzen zu zwei Sinfonien, die von der Neuen Philharmonie Westfalen mit Annette Reifig an der Orgel ebenso feinfühlig wie kraftvoll unter der Leitung vom 1. Kapellmeister Valtteri Rauhalammi gespielt werden.

Den jubelnden Applaus des Premierenpublikums nahmen die Künstler strahlend und mit offensichtlicher Erleichterung entgegen - wohl wissend, dass, so Graham, „Kein Künstler je zufrieden“ sei. Denn „es gibt keine Erfüllung oder Zufriedenheit... Es gibt nur eine verrückte göttliche Unzufriedenheit, eine selige Unruhe, die uns weiter voranschreiten und intensiver leben lässt als andere“. Diese Sätze könnten das Credo der Arbeit der Choreografin, Ballettdirektorin und begnadeten Tänzerin Breiner sein, betrachtet man ihre erstaunliche Entwicklung am Musiktheater im Revier.

Der erste Teil ist mit „There is a Vitality“ (Es gibt eine Lebenskraft) überschrieben, getanzt auf das fünf-sätzige sinfonische Auftragswerk „Response“ des zeitgenössischen Komponisten Georgs Pelēcis, der eine heutige Antwort auf Camille Saint-Saëns' mächtige „Orgel-Sinfonie“ Nr. 3 in zwei Sätzen von 1886 versucht. Formal lehnt sich der Lette deutlich an Saint-Saëns an, indem er zum Beispiel ebenfalls Klavier und Orgel einsetzt und sakrale, choralähnliche Melodien einflicht und Rhythmen zitiert. Aber insgesamt orientiert er sich fast kammermusikalisch an dem zarten Beginn für wenige Streicher und Oboe des spätromantischen Meisterwerks.

Den ersten Satz bestreitet Breiner auf der Bühne mit einem großen Solo, choreografiert von den vier Ensemblemitgliedern Hitomi Kuhara, Paul Calderone (noch Gast, demnächst regulärer Revier-Tänzer), Valentin Juteau und Louiz Rodrigues. Eckig und kantig ist die Tanzsprache, voller technischer Raffinesse und Tücken, die für die Ballerina keinerlei Hürden zu bieten scheinen. Mühelos, präzise und elegant füllt sie den Raum um eine sonnenbeschienene, golden schimmernde Säule, über die unablässig Wasser perlt. Die hochästhetische Ausstattung - im zweiten Teil mit immensen abstrakten Gemälden auf den Wänden - entwarf der französische Ex-Tänzer Jean-Marc Puissant, der auch Breiners „Schwanensee“ ausstattete.

War der Blick anfangs auf allerlei aufgetürmtes Gerümpel in den Seitengängen frei, fährt später eine schlichte blaue Wand herab und grenzt die Tanzfläche ab. Auf dem Rückprospekt ziehen weiße Wolkenfelder am blauen Himmel auf. Paare, Gruppen, Solisten wechseln, formen sich zu Diagonalen. Ein Tambourmajor (Ledian Soto), mit kühnem Schwung weiße Farbe über Wange und Brustkorb gemalt, schwingt seinen Stab, bis alle mit Husarenkappen hinter ihm her marschieren. Immer wieder deuten sich kleine Episoden an. Aber eine durchgehende Geschichte lässt sich nicht enträtseln. Ein schwieriger, zeitweise aber auch unterhaltsamer Auftakt.

Ganz anders der zweite Teil, betitelt „Blessed Unrest“ (Selige Unruhe). Rein neoklassisch choreografiert Breiner hier, knüpft zu Beginn an das Ende des ersten Teils an, indem wieder Tessa Vanheusden im neoklassischen Trikot in apart ineinander laufenden Farbtönen von dunkel bis hell in lang gehaltener Pose steht, bevor die anderen mit weiter Gestik und Sprüngen von großer Eleganz und Harmonie über die Bühne tanzen. Immer ist der Bezug zur Musik spür- und sichtbar, nie reine Illustration - sehr lebendig, leidenschaftlich geradezu bei aller Disziplin und bewundernswerter Homogenität.

tanznetz.de

„Die vitale Unruhe“: die beseelende Kraft, die alles in Bewegung hält – so nennt Bridget Breiner ihren neuen Ballettabend im Gelsenkirchener Musiktheater, der einmal keine Handlung erzählt, sondern die psychischen Beweggründe, die Gefühle tänzerisch zu deuten sucht, die uns Menschen umtreiben.
Dazu inspiriert hat sie die dritte Sinfonie des französischen Komponisten Camille Saint-Saens (1835-1921), der seiner Musik durch Orgelklänge eine übersinnliche, spirituelle Kraft zu geben vermochte und das Premierenpublikum war begeistert davon, wie es Bridget Breiner und Valtteri Rauhalammi, dem Dirigenten der Philharmonie Westfalen gelang, das sinnlich wie übersinnlich zu vermitteln - und Jean Marc-Puissants sensible Bühnenbilder und Kostüme passten dabei kongenial in das visionäre Konzept. Da ist es der Choreographin wieder einmal gelungen, eine neue, überzeugende Form von Tanztheater zu erfinden.
Saint-Saens Sinfonie bildet den krönenden Abschluss dieses Balletabends; eingeleitet wird er zuvor aber mit einer Uraufführung: der lettische Komponist Georgs Pelecis (* 1947) hat sich durch Breiners Saint-Saens-Idee inspirieren lassen, eine Art Sinfonie zu schreiben, die in ihrer Instrumentation - durch Orgel - und Klavierpassagen - dem Franzosen nachzufolgen sucht, aber als Komposition doch anders orientiert ist: an Kontrapunktkünsten älterer Musikstile nämlich, die an die Techniken neuerer „minimal-music“ angekoppelt werden; das ist reizvoll zu hören, aber zu sehen ist, dass die Tanzenden davon weniger zur „Unrast“ animiert werden. Das mag so manchen im Zuschauerraum irritiert haben; der Beifall für den sympathischen Komponisten, der eigens zur Uraufführung anreiste, war drum wohl eher kurz, aber freundlich.

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